Der Ruf des Yukon Quests

Von Andreas Fuchs für www.dogscooting.de - Dezember 2014

Fotos: Silvia Furtwängler (SF) und Andreas Fuchs (AF)

Sie verfolgt ihr Ziel mit beständiger Konsequenz: Silvia Furtwängler ist seit fast 30 Jahren Musherin und führt ihre Schlittenhunde auf den großen internationalen Schlittenhunderennen. So blickt sie auf viele Rennen zurück, darunter zwei Teilnahmen beim Yukon Quest (2001 und 2003) und eine Teilnahme beim Iditarod (2012). Sie war die erste Europäerin, die mit einem europäischen Hundeteam das Yukon Quest beendet hat und erst vor Jahresfrist gewann sie, als einzige weibliche und im Rennen verbliebene Teilnehmerin, das 2014 erstmalig ausgetragene Volga Quest in Russland. Ein Rennen über 600 km auf der Volga mit Tagestemperaturen bis -40 Grad Celsius.

Fährüberfahrt (AF)
Fährüberfahrt (AF)

Dafür muss man gemacht sein als Mensch, egal welchen Geschlechts. Und Silvias Absicht, im Jahr 2015 erneut beim Yukon Quest zu starten, war Anlass genug sie in Norwegen zu besuchen.

So habe ich mich an Weihnachten aufgemacht und bin zu Silvia ins norwegische Varmevoll gefahren.


Wie trainiert man in einer Region, die gerade einmal 200 km westlich von Oslo liegt? Braucht man da eine Kältekammer, um die arktischen Klimate zu simulieren, die einen in Alaska oder auch in Russland erwarten? Wer sich im Winter zu Silvia auf macht, dem wird durch das eigene Erleben schnell klar, dass da gar nichts simuliert werden muss. 


Auf dem Weg nach Rauland - Winterlandschaft (AF)
Auf dem Weg nach Rauland - Winterlandschaft (AF)

Varmevoll

Varmevoll (zu Deutsch: warmer Berg) ist eine kleine Häusergruppe am nordwestlichen Ufer des Møsvaten, einem Speichersee knapp 200 km westlich von Oslo gelegen. Das ist für sich genommen nichts Außergewöhnliches, speziell wird es nur durch den Umstand, dass die Häusergruppe Varmevoll nur über den See zu erreichen ist. Es führt dort kein Fahrweg hin. Auch ein Fußweg existiert nicht und man erfährt sehr schnell, dass der See und seine klimatischen Wandlungen in weiten Bereichen den Takt des Lebens in Varmevoll bestimmen.

In der Regel friert der See ab Ende Oktober/Anfang November zu. Erst dann werden die Wege über das See-Eis, durch selbst gebrochene und ausmarkierte Trails, zur Winter-Verkehrsader dieser kleinen Region. Allerdings friert der See seit zwei Jahren später zu als üblich und frühe Schneefälle erschweren die Eisbildung obendrein. Dann wird es kompliziert. So auch auf meiner Fahrt, denn ist das Eis noch nicht ausreichend befahrbar, bleibt lediglich der Weg über die Berge. Varmevoll selber liegt auf etwa 930 Höhenmetern. Der zu überfahrende Höhenzug südwestlich davon reicht bis auf gut 1.100 m. Auch wenn die Temperaturen für ein Zufrieren des Sees noch nicht dauerhaft niedrig genug waren, für Schnee reichte es immer: 3-5 m Schnee! Ja Meter, nicht Zentimeter!

Varmevoll am Møsvaten (AF)
Varmevoll am Møsvaten (AF)

Yukon Quest - die Fakten

Der Yukon Quest (Yukon Quest International Sled Dog Race) wird seit 1984 als Langstrecken-Schlittenhunderennen über etwa 1.000 Meilen (= 1.600 km) durch Alaska und Kanada ausgetragen und findet jährlich im Februar zwischen den Städten Fairbanks (Alaska) und Whitehorse (Kanada) statt. Der Trail des Yukon Quest erinnert an die amerikanischen und kanadischen Goldschürfer, Trapper und Briefboten, die das Land erschlossen. Der Yukon Quest gilt als das schwerste Hundeschlittenrennen der Welt. 1984 brauchte der Sieger, Sonny Lindner, noch 12 Tage und 5 Sekunden. 2014 war Allen Moore nur noch 8 Tage, 16 Stunden und 51 Minuten unterwegs. (Quellen: de.wikipedia.org/wiki/Yukon_Quest; www.yukonquest.info)

 


Kalte Nacht im Auto

Morgen-Selfi (AF)
Morgen-Selfi (AF)

Das Phänomen der Region ist die schon angesprochene Unkalkulierbarkeit des Wetters. Es gilt der Spruch: „ Wenn du wissen willst, wie das Wetter wird, dann drehe dich um!“ Das Wetter ändert sich gelegentlich im Stundentakt, in alle denkbaren Extreme.

 

Diesen Effekt erfuhr ich, als ich nach etwa 14 Stunden Anreise am verabredeten Treffpunkt ankam. So musste ich feststellen, dass es zwar dort wo ich stand sternenklar und windstill war, nur Silvia aufgrund des Wetters auf ihrer Seite der Berge die Fahrt mit dem Snowmobil nach 6 km abbrechen musste. Zudem war inzwischen die Nacht angebrochen.

Kurz vor Sonnenaufgang in der Nähe von Rauland (AF)
Kurz vor Sonnenaufgang in der Nähe von Rauland (AF)

Also stellte ich mich auf eine Übernachtung im Auto ein. Den Daunenschlafsack hatte ich vorsorglich eingepackt und er war bei minus 15 Grad auch hilfreich. 

Es war kalt, aber gut auszuhalten und die Standheizung nutze ich nur einmal, um das Einschlafen etwas angenehmer zu gestalten. Morgens um 6 Uhr war die Nacht beendet, denn auf dem Autoboden konnte ich trotz Iso-Luftmatte einfach nicht mehr liegen. Es war mit knapp minus 24 Grad am Morgen deutlich kälter als in der Nacht und nur ein Spaziergang im Schnee beim ersten Morgenlicht verschaffte mir schnell die nötige Körperwärme. Nach dem Spaziergang verrichtete der kleine Gaskocher klaglos seinen Dienst und der (ungelogen) mindestens 18 Jahre alte EPA-Kaffee aus der Bundeswehrverpflegung schmeckte auch vertraut. 


Mit dem Motorschlitten über die Berge

Rauland im Süden - Varmevoll im Norden; Quelle: Google Earth
Rauland im Süden - Varmevoll im Norden; Quelle: Google Earth

Gegen 10 Uhr kamen dann Silvia und ihr Mann, Jürgen, mit dem Motorschlitten zu meinem Parkplatz und wir fuhren nach ein paar Erledigungen los. Insgesamt ist die Fahrt nach Varmevoll über den Bergrücken vom Treffpunkt aus knapp 25 km lang. Wie schon vermutet gibt es im Schnee keinen festen Weg. Orientierung bieten nur die zuvor selber gefahrene Spur oder, wenn die nicht mehr sichtbar ist, das GPS. Man fährt diesen Weg auch tunlichst zu Zweit. 

 

Der Eindruck der Fahrt war in mehrfacher Hinsicht atemberaubend. Wolkenloser Himmel, Sonnenschein, die umgebenden Höhenzüge mit den bedrohlich überhängenden Schneeflächen, der atemberaubende Blick über den vereisten Møsvaten.

Aber was auf den ersten Blick im Schnee wie ein ebener Weg aussieht, entpuppt sich bei der Fahrt als eine sehr hügelige, holperige, mit Steinen gespickte und immer wieder mit Schrägfahrten besondere Anforderungen an Fahrer und Beifahrer stellende Schneemobiltour. Lediglich auf einem ziemlich kurzen Wegstück hatte ich den Mut, eine Hand von den Haltegriffen zu nehmen und die Fahrt zu filmen. Zudem fühlen sich minus 24 Grad Lufttemperatur bei knapp 40 km/h wie fast minus 50 Grad an, da ist es von Vorteil, Kleidung für arktische Verhältnisse zu haben. Die eine Stunde Fahrt machte mir untrügerisch klar, im Nebel oder bei Nacht und im Schneesturm geht auf diesem Trail nichts mehr. Denn die einzige Orientierung ist die Snowmobil-Spur der vorherigen Fahrt. Wenn die bei null Sicht zugeweht ist, hilft nur noch der GPS-Track.

Rennabsage

Nach so einer Tour ist man dann doch durchgefroren, trotz Kleidung nahe am Arktis-Niveau. Aufwärmend war dann auch nicht, als Silvia mir eröffnete, dass sie in 2015 doch nicht am Yukon Quest teilnehmen kann. Die finanziellen Hürden sind einfach zu groß. Insbesondere der Flug nach Alaska, der mit etwa 30.000 EUR für beide Wege zu Buche schlägt, ist eine finanzielle Herausforderung an der auch nichts eingespart werden kann. Trotz der lieben Hilfe vieler Fans, die eifrig „Meilen für die Vorbereitung“ gespendet hatten, blieb es ein Kraftakt, der diesmal nicht zu stemmen war. Und da ist es besser, frühzeitig abzusagen, als sich ohne Sicherheit zu verschulden. Das Yukon Quest findet auch in 2016 statt.

Schneesturm

Zugeschneite Hundehütte - kaum mehr sichtbar (SF)
Zugeschneite Hundehütte - kaum mehr sichtbar (SF)

Der Tag endete im Schneesturm und zwar richtig Sturm, so wie wir ihn in Schleswig-Holstein auch kennen: 25-30 m/s, was langläufig 90 - 108 km/h oder 9 bis 10 Windstärken (Beaufort) sind. Stürme, die hier regelmäßig auftreten, sehr regelmäßig. Und Schnee fiel auch, viel Schnee. Auf die ohnehin schon vorhandenen 2 m Schneebedeckung kamen in dieser Nacht noch einmal 150 – 200 cm hinzu. Schneeverwehungen gab es noch als Zugabe obendrauf. „Das ist hier normales Winterwetter“, so Silvia, „heute Schneesturm, morgen Sonnenschein und dann wieder Frost mit minus 20 Grad. Oder auch alles an einem Tag“. Das Wetter ist hier, am Fuß der Hardangervidda, unberechenbar, immer. Folgerichtig müssen die Hundehütten im Winter zum Teil sogar mehrmals pro Nacht aus dem Schnee ausgegraben werden. Darüber macht sich niemand ein Bild, der es nicht selber vor Ort erlebt hat.

Der Kellereingang ist "weg" (SF)
Der Kellereingang ist "weg" (SF)

Training

Auf dem Trail (AF)
Auf dem Trail (AF)

Und daher findet auch das Training für die Langstreckenrennen, die Silvia mit ihren 14 oder 16 Hunden großen Gespannen fährt, unter arktischen Bedingungen statt. Zusätzlich kommen die alpinen Herausforderungen hinzu, denn die umgebenden Berge und Plateaus steigen schnell auf 1.400 m an. In der Übergangszeit, wenn der Møsvaten noch keine stabile Eisdecke ausgebildet hat oder diese wieder schmilzt, bleibt nur der Weg eben dort hinauf. So auch diesmal und da wurde mir klar, für eine Trainingsfahrt beliebt jetzt nur der Weg, den wir mit dem Scooter genommen hatten. Das ist mit einem Schlittenhundegespann nochmals eine Spur mehr Herausforderung.
 

Trainingspause (SF)
Trainingspause (SF)

Das Training selbst gestaltet jeder Musher individuell und stimmt es auf das zu fahrende Rennen und die eingesetzten Hunde ab. Fahrten bei Sturm und starkem Schneefall gehören, wen wundert es jetzt noch, zu Silvias „Alltagsgeschäft“. Die Fahrten bei strahlendem Sonnenschein kommen vor, sind aber längst nicht so zahlreich, wie man es vom Klischee der Hochglanzfotos her kennt. Nachtfahrten und das Üben von Pausen stehen ebenfalls auf dem Trainingsplan. 

Trail in die Hardanger Vidda (AF)
Trail in die Hardanger Vidda (AF)
Ausspannen nach dem Training (AF)
Ausspannen nach dem Training (AF)

Dann wurde es aber einige Tage später doch noch so kalt, dass das Training wie gewohnt auf dem Eis des Sees stattfinden konnte. Das Eis war stabil genug, um sich sicher darauf bewegen und auch anhalten zu können.

 

Dort zieht Silvia mit den Hunden jetzt ihre Bahnen, wenn auch nicht mehr für das Yukon Quest 2015. (AF)


Und nach dem Tagestraining werden die Hunde auch ausgiebig massiert, gepflegt und gefüttert. Sie sind immerhin das Kapital eines jeden Mushers und da überlässt auch Silvia Furtwängler nichts dem Zufall.

© Andreas Fuchs, 2014